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Manipulation von und durch soziale Medien

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Sebastian Alscher, CC BY 4.0 fluxka

Ein Gastbeitrag von @sebulino

Vor etwa fünf Jahren wurde etwas Ungeheuerliches bekannt. Seit 2014 wurden durch die Firma Cambridge Analytica die Daten von 50 Millionen Wählern verarbeitet, um Menschen bei Wahlen gezielt zu manipulieren. Dies wurde im Wahlkampf von Trump eingesetzt. Kurze Zeit später wurde die Verfälschung weiterer Wahlen und Abstimmungen bekannt. Ein Skandal, der nicht nur in der netzpolitischen Sphäre hohe Wellen schlug. Zu Recht waren Politiker alarmiert. Denn Manipulation sozialer Medien gefährdet unsere Demokratie. Sie bekamen erneut vor Augen geführt, welche Macht in sozialen Medien steckt, wenn sie gezielt instrumentalisiert werden. Es wurde deutlich, wie wichtig Transparenz und die Einhaltung von Datenschutz sind. Nach dieser Erfahrung waren sich alle einig, dass für freie Wahlen in einer Demokratie politische Einflussnahme kennzeichnungspflichtig sei.

Dies hat sich ins Gegenteil verkehrt. Zumindest hört man keinen Aufschrei, wenn diese Manipulation weiterhin eingesetzt wird – die Frage drängt sich regelrecht auf, ob das Problem nur besteht, falls „die Falschen“ davon profitieren.

Wie genau beeinflusst man Abstimmungen und Wahlen?

Es ist ein klarer Eingriff in unsere demokratischen Prozesse, wenn Wahlen beeinflusst werden. Es ist wie ein Eingriff in unser gesellschaftliches Betriebssystem. Wie kann man die Demokratie stören? Hier ist sicher zunächst das große Feld der Desinformation zu nennen. Hier werden fehlerhafte Informationen gestreut und es wird absichtlich Unwissen verbreitet. Oder Clickbots simulieren Unterstützung einzelner Aussagen oder Personen, und manipulieren Menschen durch ihr Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit. Dies hat dann zur Folge, dass sie Informationen mehr Gewicht beimessen als gerechtfertigt.

Darüber hinaus gibt es drei Wege, die unmittelbar von den Informationsplattformen selbst beeinflusst werden. Informationen, die auf das Verhalten oder die Einstellung von Menschen eine Wirkung haben, werden allen oder einem Teil der Menschen präsentiert. Oder verhaltens- und entscheidungsrelevante Informationen werden für einen Teil oder alle Menschen unterdrückt. Und natürlich kann man beides mischen.

Plattformen und kuratierte Inhalte

Plattformen präsentieren sich als Medien und Multiplikatoren, nicht als Kuratoren. Der Unterschied ist wichtig, denn würden Facebook, Instagram oder Twitter klar sagen, sie kuratierten Inhalte, so wird jedem deutlich, dass Einfluss auf die vermittelten Botschaften genommen wird. Damit ist dann deutlich, dass die Social-Media-Plattformen keine neutrale Quelle sein können. Zeitungen und Zeitschriften beispielsweise grenzen sich davon klar ab, sie haben eine Redaktion, die Redakteure sind bekannt. Eine wissende Netzgemeinde beklagt immer noch, dass die Algorithmen der Social-Media-Giganten nicht öffentlich sind. Es ist deswegen nicht nachvollziehbar, was warum dem Leser dargeboten wird. Außerhalb der Netzgemeinde herrscht scheinbar tiefes Vertrauen darin, dass die Nachrichten ausschließlich davon abhängen, wem man auf den Plattformen folgt.

Aber das ist falsch.

Soziale Medien manipulieren und werden zur Gefahr

Nachdem Twitter vom neuen Eigentümer übernommen wurde, erklärte dieser, dass die Beeinflussung durch Dritte und Desinformation auf der Plattform die drängendsten Probleme seien. Da es nach einem ersten Übernahmeversuch nicht genügend Informationen über Bots und Fake-Accounts gab, zog er sein Kaufangebot wieder zurück, weil er befürchtete, dass Twitter unreparierbar sei. Wie es das Schicksal (aka Juristen) wollte, übernahm er dennoch nach ein paar Monaten das Unternehmen.

Unter dem Schlagwort „TwitterFiles“ wurden kürzlich Informationen über weitere Beeinflussung der Beiträge auf Twitter veröffentlicht. Hierbei geht es nicht darum, dass Twitter Beiträge gelöscht hat, die strafrechtliche Tatbestände darstellen und gelöscht gehören. Sondern es dreht sich erneut um die Einflussnahme von Politikern auf die Verbreitung von Informationen.

TwitterFiles zeigen politische Einflussnahme

Bei den „TwitterFiles“ geht es insbesondere um Informationen, die einen möglichen Einfluss auf Wahlen haben. Amerikanische Politiker haben bei Twitter erwirkt, dass Beiträge nicht verbreitet werden, die zu einem bestimmten Sachverhalt berichten. Beispielsweise wurde das Teilen von Zeitungsbeiträgen unterdrückt, die nachteilig für den demokratischen Kandidaten waren.

Doch das ganze uferte aus – beide große Parteien hatten Zugang zu Schnittstellen oder Werkzeugen, über die einzelne Tweets markiert werden konnten, um sie zu entfernen. In 2020 beispielsweise wurden sowohl vom Weißen Haus unter Trump und von den Campaignern für Biden Anfragen bearbeitet.

Eine Kennzeichnung oder ein Hinweis, dass politisch motivierte Auswahl der Beiträge auf der Plattform erfolgt, gab es nicht.

Als Demokraten müssen wir solches Verhalten verurteilen. Immer, und egal von wem. Information muss frei sein, darf nicht manipuliert oder zurückgehalten werden. Denn nur Information kann Desinformation bekämpfen, kann Gerüchte stoppen. „Information is Rumor’s younger, stronger cousin.“ Gleichzeitig stellt uns das vor eine große Herausforderung, es verlangt uns einiges ab. Denn: An wem ist es zu entscheiden, ob Informationen verbreitet gehören oder nicht? Ob Informationen zurückgehalten oder entfernt werden dürfen oder müssen?

Informationen müssen verfügbar sein

Zu denken, was in den USA passiert, das würde uns nicht betreffen, greift bei globalen Anbietern zu kurz. Nutzer aus Deutschland treffen bei der Nachrichtenaufnahme ebenso auf die Filter der sozialen Netzwerke, ohne dass dies deutlich gekennzeichnet wird. Accounts werden auch in Deutschland mit shadowbans belegt, beispielsweise bei Suchergebnissen ausgeblendet. Und die netzpolitische Forderung ist immer noch die gleiche: Algorithmen offenlegen, Quellcode am besten veröffentlichen. Das stärkt das Vertrauen in die Plattformen. Und so werden sie ein wichtiges Instrument, um als vierte Säule die Demokratie zu stärken, anstatt sie zu untergraben.

Es kann nur einen Weg geben: Die Grenze, was auf nicht-kuratierten Plattformen verbreitet werden darf und was nicht, ist das Strafrecht. Richter sind die neutrale Stelle, die entscheidet. Wir brauchen unbeeinflusste Informationen, um eine Chance zur Mündigkeit zu haben. Es ist Voraussetzung gleichermaßen wie Anspruch. Denn der Filter für die Informationen wandert damit bildlich gesprochen von den Plattformen und beliebigen Dritten zu uns, in unseren Kopf. Das eigene Gehirn als Filter. Denn das ist, was uns Erwachsene von Kindern unterscheidet, besser gesagt die Mündigen von den Unmündigen. Die Pflicht und Verantwortung, mit Informationen umzugehen, im Gegensatz zu dem Vorenthalten und Filtern von Informationen für die Unmündigen und Schutzbedürftigen.

Demokratie ist anstrengend, Mündigkeit ist anstrengend

Leider ist es so, dass Mündigkeit anstrengend und mit Arbeit verbunden ist. Und darüber müssen wir reden. Wir leben mittlerweile in einer Zeit, in der Information und Informationsverarbeitung mit Kraftaufwand verbunden sind. Denn was ist die Alternative? Dass wir Dritte als Filter haben, wie in diesem Beispiel Politiker, die eine Auswahl treffen, welche Informationen wir präsentiert bekommen, um uns eine „eigene Meinung“ zu bilden.

Wenn das passiert, wird dies nicht zur Folge haben, dass wir nicht mehr regelmäßig wählen gehen können. Aber Wählen verkommt dann – wie die Beispiele in den USA zeigen, Cambridge Analytica ebenso wie das Zurückhalten von Informationen auf Twitter – zur Farce. Denn die Manipulation derer, die als demokratisches Korrektiv eine Regierung abwählen können, untergräbt das Korrektiv.

Es sollte daher klar sein, was zu tun ist. Protest gegen Manipulation darf nicht davon abhängig sein, ob diese einem in die Hände spielt oder nicht. Jede Manipulation muss beanstandet und als solche verurteilt werden. Zumindest dann, wenn uns unsere Demokratie wichtig ist.

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